Adele Gerhard

100 Jahre Kohlgruber Erde 01. September 1924 - 01. September 2024

Adele Gerhard - Kurzeitung von Bad Kohlgrub

Die Landschaft liegt weit geöffnet. Weichgeschwungene Höhen umziehen sie. Zur anderen Seite stehen Berge, ruhig, ernst, in warmem, starken Grün. In breitem Umkreis sieht man schroffere Form, großgerndetes, zackiges Gestein. Aber diese Berge, diese Höhen engen nicht ein, grenzen nicht ab. Das Auge blickt rings um holde Geschlossenheit. Strömt der Sonne Segen über uns, so spült sie in jeden Winkel, in die fernste Talsenkun, zu dem winzigen Weiler an der Horizontlinie. Licht, jubelndes, seliges Licht umdrängt das glückliche Auge.
Senkt sich die Nacht über Tal und Höhen und steigt der Mond, langsam, grüßend empor, so ist alles von bleicher Ruhe umgossen. Du siehst in dem schwerelosen Licht in der verschwiegensten Schlucht, zu dem kältesten Schrofen. - Du dringst durch jedes schmale Fenster, glaubst den Atem der schlafenden Kreatur zu erspüren. Geisterhaft grüßen die Ammergauer Berger in dem wallenden weißen Schein, wenn wir sinnen, nachtumsponnen übe die breite Höhe zu der Linde hinschreiten. Denke ich noch, wie sie gepflanzt ward - ein winziger schwacher Stamm, mit dem feinen Laub im Winde zitternd? Wie meine Hand sie umschloss und ich nicht glaubte, dass sie leben würde? Sie lebte und wuchs in der segnenden, glücklichen Luft - ihr Schatten schützt mich an manchem Mittag, ihr Stamm ist Leuchte, wenn ich in der Sommernacht über die Höhe wandre.

Die Landschaft liegt weit und geöffnet. Wiesengrün wohin der Blick ruhend gleitet. Frieden, frohen Frieden atmet ihr weite, offene Helligkeit…
Aber da greift seitwärts gen Norden, ein stummer, geradegezeichnender Pfad deinen Fuß. Menschenleer ist es hier. Nur ein paar graue Bretterhäuschen stechen in die weite, wie endlose Fläche. Schwarzbraune Torfstücke stehen aufgesteckt gegen den Himmel. Und plötzlich offenbart sich das Geheimnis dieser Erde. Tief siehst du hinein in den schwarzen verschwiegenen Grund - in diesen trächtigen Boden…
Weiter führt dich dein Schritt, Hütten und Torfstücke sind entschwunden. Am Horizont lang etwas dunkles, waldiges. Immer weicher und wiegender wird es unten. Leuchtend umflirren dich die Torfwiesen, die zitternden, bräunlichen Gräser, die tiefblauen Enziane, die mannshohen Sumpfpflanzen. Wie gezogen dein Fuß über dem weichenden, wiegenden Boden… Magie bannt dich und Schicksal.

Text: Martin Doll - Heimatpfleger

Novellen von Adele Gerhard die sie während ihrer Aufenthalte in ihrem geliebten Bad Kohlgrub geschrieben hat.

Es ist eine Zeitreise durch den Ort Anfang des 20. Jahrhunderts

Die Hand Gottes

Es war schon spät geworden. In dem kleinen Gasthaus, das Konrad Waldmüller gepachtet hatte, waren fast alle Gäste bereits zur Ruhe gegangen. Nur ein paar verirrte Gitarrenklänge quollen durch die Nacht, zitterten hinab in die Talsenke zu dem Dörfchen, das in seinem weiß in der Dunkelheit leuchtenden Kirchturm eingefügt in die grüne Matten ruhte.
Nach diesem Sonntag, das sie zu dreien still und feierlich zur Alm hingewandert waren und dort nach Großenast, in die leuchtende, lichterfüllte Welt hinunter, dann zu anderen Seite hinauf zu der großen Hörnlekette in ihrer Hochgebirgseinsamkeit geblickt hatte und der Kuhglockenreigen ihnen still und melodisch ins Ohr geklungen, war Lena an den nächsten Nachmittagen noch ein paarmal mit dem Schwager durch die blühenden Wiesen gegangen.
Jedes Häuschen des Dorfes zeichnete sich einzeln und wie zwei strenge Wächter schnitten am Eingang zwei Pappeln schwarz und scharf in die Luft, während am Marktplatz wie ein dicker runder Strauß die Krone eines mächtigen Lindenbaumes über die Dorfstraße ragte.
Ja er geht wohl wieder zu der rothaarigen Magd des Unternwirts (Schwarzer Adler). Und jetzt zünden sie gar noch auf dem Marktplatz das Laternchen an, dicht unter dem Lindenbaum und gerade zwei Schritt vom Unternwirt.
Nur verirrt aus den Wiesen hervorstechende Torfhüttchen ließen noch Gedanken an Tagesarbeiten und Tätigkeiten kommen. Kein Hauch regte sich ringsrum. Nur der Torfatem mischte sich in den Duft der bunten Wiesenblumen.
Man sah hier von der Höhe durch die blaue Nacht über die geöffnete Landschaft, über Hügel und Seen. Tief unten in der Talsenke ruhte das Dorf. Und nah am Horizont blitzte die kleine Lichterkette von Murnau. Lichtchen an Lichtchen, wie eine schimmernde Perlenreihe am Abschluss der großen atembefreienden Weite.
Draußen hoben sich eben der Tag aus der Dämmerung. Es war wie eine Geburt. Das Dörfchen löste sich langsam aus dem grauen Frühlicht im Talgrunde zwischen den sich senkenden Wiesen, als tauche da ein Werdendes, sich eben erst Bildendes aus dem Urschleim auf. Linien und Umrisse zeichneten sich, dann hoben sich lindrote Dächer, der Kirchturm ragte weiß und seltsam.
Wenn ich sehe, wie sie da unten vorüberziehen und ihren Bittgang machen, - er wies mit der Hand auf die Prozession, die sich von einer seitlich gelegenen Kapelle langsam auf den weißverstaubten steinigen Wegen zu der Dorfkirche bewegten.
Wir machen auch unseren Bittgang in unserer Weise. Sie schlugen unwillkürlich den Weg zu der weißen Kapelle ein, schritten durch die hohen goldgelben Getreidefelder, die sich langsam abwärtssenkten und von leis gewellten Wiesen durchsetzt waren. In der Ferne sah man im Abendschein den See von Murnau. Kaum zehn Minuten brauchten sie zu wandern zu dem kleinen Bethaus. Und doch bemerkte Konrad erstaunt, als sie unten standen, dass sich in der kurzen Zeit die Physiognomie des Wetters gewandelt hatte, oder dass ihnen die ersten Anzeichen hiervon oben entgangen waren. Während Uhl mit Lena auf dem ärmlichen Friedhof an der Kapelle herging und die Grabschriften studierte, begann es schon leis hinter den Bergen zu donnern. Vereinzelte Wolken zogen herauf. Im Gras piepste kurz und ängstlich ein Vogel. Der Uhl enträtselte eben die halbverwischte Inschrift auf dem hohen Kreuz an der Eingangswand der Kapelle.

Der Stein erinnnert an das 1633 Jahr,
Das für Kohlgrub so äußerst traurig war.
Durch Gottes Schluss, so viele Leute aufgerieben,
Dass nur zwei Ehepaar von allen übrig blieben,
Hier wurden ihre Leiber eingesenkt,
Bis ihnen Gott die Auferstehung schenkt,
Indes bitt für sie und glaub an Jesu fest,
Denn er nur heilt des Leibes und der Seel Pest.
R.I.P.

Des Leibes und der Seele Pest, wiederholte Lena langsam. Konrad beobachtete erstaunt, dass seine Frau, achtlos für das Nahen des Unwetters, unbeweglich an der Wand der Kapelle lehnte. Sie schien nicht zu hören als die Worte, die der Uhl da in seinem seltsam schweren Tonfall hinunter las.
Am dritten Tage wurde der Waldmüller auf den kleinen Kirchhof an der weißen Kapelle inmitten der noch wogenden goldenen Weizenfelder zur Ruhe getragen. Der Arzt aus dem nahegelegenen Kurhaus hatte einen Herzschlag, der den Waldmüller im Schlaf getroffen, als Todesursache erkannt.
Dann sah sie eine schlanke Gestalt, den kleinen Reisekoffer in der Hand, halb träumend den Weg zu dem Dorf in die Talsenkung hinabsteigen, an den weißen Häusern mit den sich breitenden Obstbäumchen und grünen Läden vorübergehen und hinter den beiden ragenden Pappeln verschwinden.

Torfstich

Komm - von allem später! Wir gehen hinunter ins Dorf zu der Stelle, wo unser kleines liegt. Sie schüttelte den Kopf. “ Es ist nicht dort, wo du meinst. Ich habe es oben bei der kleinen Kapelle eingraben lassen.” Auf dem alten Kirchhof, fragte er erstaunt, wo nur die Kinder gebettet werden? Wolltes du ihm etwa gleich nachsterben, sagte sie herb. Ihre Hand in der seinen, schritt er den Wiesenpfad hinan - zu der Höhe, wo das goldene Kuppelchen der Kapelle glühte. Wie sie auf die Höhe gelangt waren, sahen sie kleine Kapelle weiß in der Sonne. Vor ihnen leuchteten die blauen Berge, Falter irrten druch die lichte Weite. Vom blütenbedeckten Lindenbaum wehte und streute es hold und zart…
Der Mann bog die kleine Tür des Friedhofs zurück.
Gundula war aufgestanden und band ihren großen Schutenhut um. Gehen wir mit unserem Friedensengel in die Wiesen oder zum Rantscher See.
Nach Stunden bogen sie in den schmalen Wiesenpfad, der zwischen blühenden Feldern zu der kleinen Kirch hinaufleitete. Auf der Bank an der Linde saß ein alter Bauer mit seinem Weibe. Duftende Zweige lagen neben ihnen. Die Bäuerin pflückte bedachtsam die Blüten von den abgebrochenen Ästen, an den schon da und dort die samtgraue Frucht stand. Das gibt gewürz´gen Tee vom Gebirg, krächzte sie.
Wie die Kapelle drüben weiß im Mondschein liegt! Es ist alles wie handgreifnahe - man glaubt, jeden Grabstein blinken zu sehen - die blauen Blümchen auf dem Grab unseres Kleinen…
Sie wanderten den langgezogenen Weg. Schwarzbraun in dem sonnenhellen Licht sah man aufgehäufte Torfstücke gegen die blauen Berge - unter der grünrasigen Wiese den dunklen fetten Moorgrund… Torfhüttchen stachen in die hingedehnte Fläche.
Die Farbe der Wiese war leuchtender, die Vegetation wuchernder und üppiger als vor wenigen Tagen. Tiefblaue Enziane, die Gundula hastig zusammenraffte, blühten scharenweise, dazwischen mannshohe rötliche Sumpfpflanzen. Aber trotz des strahlenden Lichtes war etwas Unheimliches und Untrauliches in der Landschaft.
In der großen Feuchtigkeit offenbarte sich das Geheimnis dieser Erde, fühlte man den schwarzen schweren Grund unter dem friedlichen Wiesenboden. Immer weicher und wiegender wurde es - wie ein feiner Staubregen sprühte es gegen Gundulas Knöchel.
Wie sie in den hellen Morgen über das hügelige Land hinabwanderten, waren in der Ferne schon Schnitter an der Arbeit. Am blassblauen Himmel aber stand noch klar und scharf eine schmale weiße Mondsichel. An der schmalen Lichtung im Unkundenwald saßen sie nieder und betrachteten nachdenklich das verfallene Häuschen, das von dem Meiler geblieben war. Ein verlassener Heuschober stand auf der kreisrunden, von Tannen umschriebenen Wiese, in der ein winziger Bach rieselte.

Nachwort zu den Werken von Adele Gerhard von Hanns Martin Elster
In der Stille des Kohlgruber Moores in Oberbayern war ihr der heraufziehende Gewittersturm der Welt vorahnend offenbar geworden (1. Weltkrieg).
Nun löst sich, herrlich auch in der Novelle “Torfstich” (1921) die ebenfalls auf Kohlgruber Wegen in den oberbayerischen Vorbergen stimmungs- und sinnenvoll spielt, die Wesenseinheit der Dichterin los.

Zusammenstellung: Martin Doll, Heimatpfleger

Roman “Am alten Graben” im Jahre 1917

Textbeispiele die Bad Kohlgrub betreffen:

Zur Seite hob sich das nicht allzu schwer und altmodisch gefügte Hotel des kleinen Badeorts. Im Hintergrund der Kastanienallee, vor der sich die Wiesen hinabsenkten, stand ein niederer Holzbau, ein Saal mit einer offenen Vorhalle, der bei schlechtem Wetter als Musik, Unterhaltungs- und Leseraum diente (Bayerisch: ein Salettl).
Augenblicklich ergingen sich bei dem wolkenlosen Himmerl in der ruhesamen Nachmittagsstimmung einzelne Badegäste mit den Brunnengläsern in der Hauf auf der Kastanienalle, während die meisten in Liegestühlen, Hängematten oder kleinen Korbsesseln auf dem Rasen ruhten oder Konversation machten.

Und sie erfuhren dann weiter, dass übermorgen ein Volkstanzfest mit Schuhplattler und allerhand Freuden hier im Grünen stattfinden sollte.
Man tanzte draußen und man tanzte drinnen. Drinnen in dem Holzbau mit der gedeckten Terasse, wo das Klavier stand und sich von den hohen, goldgerandeten Spiegeln eine bunte Menge drehte.Und draußen auf dem freien Platze, wo man nur gelbe Fackeln und ein Schwirren und Schweben von Gestalten in farbigen Kostümen sah. Dazwischen tönte die Tanzmusik, kreischten die Mädels, klatschten und trompeteten die Burschen im Schuhplattler. Mit einer Überraschung bemerkte Ursel, die langsam näher gekommen war, dass die meisten Damen der Badegesellschaft die gleichen Trachten wie die Bauernmädchen angelegt hatten, so dass man oft Mühe hatte, sie zu unterscheiden (Siegeszug des Dirndl).
Mit noch größerem Erstaunen beobachtete sie, wie sich nach einiger Zeit die weiblichen Kurgäste auch beim Tanzen unter die Bauernmädchen mischten und mit den Burschen tanzten. Zuerst war es nur eine einzige gewesen, an die sich einer von ihnen heranwagte - eine volle Brünette, deren Brusttuch etwas tief saß…ein besonderer Günstling von Frau Mainau. Aber nachdem sie den Anfang gemacht hatte, tanzten sie bald alle mit den Bauernburschen - die üppigen und die Mageren - die kleinen verspielten Mädchen und die reifen, erfahrenen, sich in den Hüften wiegenden Frauen…
Dazwischen drehten sich ein paar dralle Bauerndirnen in den Armen ihrer Tänzer.
Man konnte nicht recht unterscheiden, ob mehr Genugtuung, mehr Ärger oder mehr Verachtung in den Blicken war, die sie auf die Damen warfen.

Zusammenstellung: Martin Doll, Heimatpfleger

“Spuren einer Schriftstellerin” von Dr. Daniela Anna Frickel

Seite 235
Naturinspirationen: Urlaub in Bad Kohlgrub

Der Kurort Bad Kohlgrub galt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Erholungszentrum für höhere Kreise. Auch Katja Mann suchte Bad Kohlgrub zur Nachbehandlung ihrer Krankheiten auf. Vermutlich seit 1906 reiste Gerhard “fast jeden Sommer” für ein bis zwei Monate dorthin, um zu arbeiten, um sich zu erholen und zu wandern. “Ich pflege hier in dörflicher, primitiver Natur, in der höchstens ein Reh, oder manchmal auch ein Ochse, einem auf den Fuß tritt, meine ganz zerzausten Nerven seit einigen Tagen mit gutem Erfolg. Mein Herz ist wieder vernünftiger geworden durch eine lange und langweilige Bäderkur. In ihrer Autobiographie erklärt Gerhard die Bedeutung dieser Sommeraufenthalte für ihre Arbeit und legt dar, was sie in Bad Kohlgrub zu der Novelle ”Die Hand Gottes" inspiriert habe.
In jenen Jahren entdeckte ich mir für mein Schaffen Kohlgrub, den kleinen oberbayerischen Ort in den Voralpen nicht weit von Oberammergau, zu dem wir nun fast jeden Sommer hinreisten. Was micht dort bannte, war weniger das anmutige Dorf mit den uns schnell vertrauten Bewohnern, der Friede der weiten offenen Landschaft mit ihren hellen Farben, den dufterfüllten Wiesen und Almen, als vielmehr das Geheimnis der Erde, die Magie des dunklen trächtigen Moorgrundes, unter dessen Berührung nun immer neue Gebilde sich in mir formten. Es war ein glutheißer Sommer, der die “Hand Gottes” in mir wachsen ließ. Die Tatze des Elementes lag in dem versengten Land. Schlaffheit, Hilflosigkeit war über den Menschen vor dieser entbundenen Wildheit. Ein Hinabdringen zu verdeckten Tiefen tat sich in mir auf.
Auch die Novellen “Huldine” (1907) und "Begegnung" (1911) bezeugen den Einfluss dieses Urlaubreservates auf ihre literarische Arbeit. An Flaischlen schreibt sie im Mai 1912, “Viele Grüße aus dem Kohlgrübchen, wo wir seit 8 Tagen sitzen und dessen Reiz sie mit der ”Begegnung Huldine" ein wenig spüren.

Seite 239
Anschließend lassen sich noch einige Gedanken anführen, die Gerhard im Zusammenhang mit Kohlgrub äußerte, du Spuren zeigen, die sie dort hinterlassen hat.
Der Künstlerin Käthe Kollwitz (1867 - 1945) war sie in Kohlgrub begegnet und berichtet darüber.
Wochen die wir beide, zufällig, gleichzeitig, in Kohlgrub einem kleinen oberbayerischen Ort (nahe Oberammergau) verbrachten, der für meine Arbeit durch Jahre mit seinem geheimnisvoll trächtigen Moorgrund voll magischen Anreizes war, ließen mich tiefer in die herbe Größe, die ganz auf die eine Note gestellte Art ihres seelischen und künstlerischen Bauens blicken. Wohl beglückte sie die Natur dort im hohem Sommer, doch als ich sie einmal fragte, ob dies alles, das mich so beschenke, ihr nichts für ihr Kunst böte, schüttelte sie den Kopf. “Höchstens so etwas”. Sie verwies auf ein paar Bauernburschen mit der starken Lebensfülle ihrer Bewegungen. Die Landschaft schwieg ihr.
Aufgrund von Gerhards Liebe und Treue wurde sie von der Gemeinde Kohlgrub Mitte der 1920er Jahre geehrt. Von der Gemeinde Kohlgrub wurde in jenen Jahren zur Erinnerung an die Gestalten und Schicksale, die ich dieser Erde abgelauscht hatte, in den geheimnisvollen Moorwiesen ein Weg und eine Bank mit meinem Namen errichtet. Ruhebank und Straße erinnern noch heute in Bad Kohlgrub an Adele Gerhard. In den 1930er Jahre fand auch ihr Sohn Dietrich (begleitet von dem drängenden Wunsch ihrerseits) dort seine zukünftige Frau.
1951, als Gerhard eine Reise aus den USA nach Deutschland unternahm, besuchte sie Bad Kohlgrub zum letzten Mal. Bei diesem Besuch entstand eine Fotoaufnahme, die sie ihren Freunden mit folgendem Kommentar sandte: “Ich mag es, weil ich im Grunde nur Spiegel der hellen, heiteren Kohlgruber Natur und Landschaft bin.”

Es gibt noch weitere Novellen, die einen Bezug zu Bad Kohlgrub schließen lassen:
- Am alten Graben
- Die Sprache der Erde
- Torfstich
- Der Pestkirchhof

Text: Martin Doll, Heimatpfleger

“Die Horen”
Monatsschrift für Dichtung, Philosophie und Kunst
Herausgeber: Hanns Martin Elster, August/September 1930

“Der Pestkirchhof” von Adele Gerhard

…Sie gingen in langsamem Schweigen den schmalen Wiesenweg. In der Weite sah man großgerandete Höhen. Hin und wieder wanderten Gestalten durch das breite wiesige Bergtal. Da und dort klang ein Lachen. Auf der entlegenen Höhe neigt sich Reinhold über Elisabeths Hand: “Dank, dass ich dir von dem, was mich so erregt hat, erzählen durfte!” Wir sprechen noch von dem allen. Doch nun - sie wies zu der von grauen Schiefern bedeckten Kirche - sollst du sehen. Die Kapelle ward durch ein Gelöbnis erbaut. Als die Pest hier vor Jahrhunderten wütet. Der Name des Pestkirchhofs blieb.
Hohe Tannen umstanden den schmalen weißen Bau. Durch die Scheiben sah man zur anderen Seite wieder düster die steile Tannenwand.
Wucherndes Gras, wild aufschießende Blumen deckten den kleinen verwahrlosten Kirchhof. Blaue Glocken blühten zwischen den Holzstümpfen, den modrigen Kreuzen. Es summte und zirpte. Schwer in sommerlichem Brüten lag die Luft. Aber zugleich schlicht Unheimliches. Wie wenn hinter der niedern Kirchhofsmauer, zwischen den verwitterten Steinen etwas hocke…
Reinhold blickte auf das weite menschenleere Land. Nur die Fenster der kleinen Häuschen glitzten da und dort, schräge Schlitzaugen, in der niedersteigenden Sonne. Atem ungeheurer Verlassenheit zitterte.
Du schenkst der Stelle zuviel Ehre. Man ist hier gar nicht so weit entfernt. Mag sein! Die einsame Kirche brachte immer Unbehangen in mich…
Pestkirchhof nennt man es? Schauer der Verlassenheit schleichen hier…
Wie Schauplatz eines Verbrechens mutet es an…
Doch eher wie der Schauplatz eines Schicksals! Denke der Entstehung!
Komm - wir treten hiein…Von der Wand der Kapelle sprch ein Bild in verwitterten Farben von grauenvoller Krankheit, von frommem Gelübde und gnadenreicher Errettung. Im unwirtlichen Gebirgsland ein Häuflein Männer, die Hände erhoben zu feierlichen Gelöbnis - zur anderen Seite das weiße Kirchlein, Zeuge ihrer Not, der Begnadung, der Dankbarkeit.
Reinhold blickte über die halb verwischte Inschrift:

"Sex hundert drey und dreißig Jahr
Nach Tausendt dort die Jahrzahl war
Als hier die Pest sehr starkh Regiert
So starkh hat sye abhieb getobt…"

Elisabeth tat in den Vorraum und wies auf den Glockenstrang, der in schwerer Stummheit hinabging. Jeden Sonnabend, wenn die Sonne sich anschickt hinabzusteigen, wallfahrtet zum Gedächtnis eine kleine Prozession von der Dorfkirche hierher. Und in dieser feierlichen Abendstunde war einmal, ein einziges Mal in der Woche der unberührte Schrank lebendig, lässt die Glocke des Kirchleins ihre Töne weit hinausquellen… Vielleicht, wenn wir einige Augenblicke verweilen, können wir die Prozession heranziehen sehen. Da kommt schon die Prozession die Höhe hinan. Die jungen Füße wirbeln hinunter. Liebe Dinger! Wohl kauf siebzehn? Landkinder? Elisabeth nickte. Wir wollen hinter die Kapelle treten - da sind wir unbemerkt.
Man sah den Zug langsaam herannahen, hörte das murmelnde Gebet der Wallfahrtenden: “Heilige Maria - Mutter Gottes…”
EIne Schar Kinder, Weiber, ein paar runzlige alte Leute, ein ganz Alter auf Krücken (Josef Doll, Bruder von meinem Großvater). Keine große oder ansehnliche Wallfahrt. Doch wie sie sich gleichmäßig hinauf zum dem grauschiefrigen Kirchlein, in der sinkenden Sonne wieder hinab zu dem Dorf bewegte, wie der reglose Strang gezogen ward, die Klänge tönernd in das sommerstille Tal, dann wieder melodisch zurückquollen, breite sich ein nachdenklich-grimmer Atem ringsum.

Zusammenstellung: Martin Doll, Heimatpfleger

Textauszüge aus der Novelle “Huldine” von Adele Gerhard

Aus Westermanns Monatshefte März 1907

…Ich ließ es mir nicht nehmen, Huldine selbst am nächsten Morgen bei ihrem ersten Bad zur Seite zu stehen. Misstrauisch blickte ich auf das dunkle Moor, in das der holde Körper meines jungen Weibes hineintauchen sollte.
Huldine aber lachte über meine Abneigung und Scheu und glitt beherzt in den zähen schwarzen Schlamm. Immer tiefer versank sie, nur die weißen Schultern leuchteten noch blenden über der schlammigen Decke. Endlich senkten sich auch diese hinab, verschwanden - es war, als ob eine eigenstarke, geheimnisvolle Macht aus dem Moor winkte, als ob die schwerer, dunkle feuchte Masse den leuchtenden Leib in sich zöge, aufsöge.
“Du weißt nicht, wie schön du warst, als du in den schwarzen Moor versankst! rief ich entzückt." Jetzt weiß ich es, dass du wahrhaftig eine Prinzession von Geblüht bist. "Schlammkönigs Tochter!"
So lebten wir in der folgenden Zeit äußerlich still und gleichförmig, einen Tag wie den anderen, in diesem einsamen Badeort mit dem Blick auf das kleine, zwischen leis aufsteigenden Matten eingesenkte Dorf. Der frische Hauch vom See her, die Höhenluft verhinderten, dass wir unter der Hitze litten, obwohl kein Waldesdunkel in der Nähe war und die sanfte Lieblichkeit der Landschaft, das breite Tal mit den blauen Bergen in der Ferne, die weiten blühenden, sanft zum Dorf sich hinabneigenden Wiesen, die man von unserem Fenster aus gleich beim Erwachen überschaute, ließen alle Kämpfe des Lebnes wie in weiter Ferne erscheinen.
Wir waren jetzt in die schmale Dorfstraße gelangt und unser Gespräch erlosch wie unter dem Einfluss einer geheimen Macht. Was sollte auch Wort und Gegenwort, während wir da an dem kleinen Lehrerhaus vorbeischritten, wo an diesem schönen Sommernachmittag im Gärtchen in der geißblattumrankten Laube die Lehrersfrau mit dem blonden Töchterchen saß und nähte und strickte, während wir weiterschritten an der von wilden weißen Rosen umsponnenen Dorfbäckerei mit den grünen Läden vorüber, durch die schattige Kastanienalle, die an den kleinen Kirchhof entlang führte. Über die niedrige Mauer sahen wir die schwarzen und weißen vergoldeten Grabkreuz blinken, die die Kirche ruhe- und andachtsvoll umstanden (Frau und Tochter von Oberlehrer Arsatius Metzger, Lehrerhaus, St.-Martin-Straße, heute Arztpraxis; Bäckerei Burkart, zum Blattlböck):
“Hier muss sich gut ruhen in all der Stille und all dem Frieden”; sagte ich leise und wies auf den kleinen Kirchhof hin.
Ganz in der Tiefe, etwa eine Viertelstunde vom Dorf entfernt, aber dicht am Bahnsteig, aber versteckt in grünen Hügeln, ein kleiner Weiher eingesenkt. Sein Wasser, das starken Mooreisengehalt haben sollte, war von dunkler und merkwürdiger Farbe und erschien noch finsterer, weil es zu drei Vierteln von den Blättern der Sumpfgewächse, die aus dem Schlammboden austiegen, bedeckt war (Deibler Weiher, hier wurde im Winter Eis geholt für den Bierkeller des Gasthauses zur Post, Besitzer Otto Deibler).
 

Zusammenstellung: Martin Doll, Heimatpfleger